Flüchtlingswohnheim Besançonalle Freiburg
 
Bilduntertitel
Kreuzung des Blicks
Projekttitel
Kreuzung des Blicks - Bildende Künstler zu Gast im Flüchtlingswohnheim
Ziel
"Kreuzung des Blicks" wendet sich sich vor Ort gleichermaßen an Kinder, Jugendliche und Erwachsene und ist ein interkulturelles Austauschprojekt. Ziel ist, interessierte Menschen im Flüchtlingswohnheim einzuladen, sich an bildnerischem Handeln zu beteiligen und mitzutun: Staffeleien bauen, Spannrahmen fertigen, bespannen, grundieren, zeichen und malen.
Finanzierung
Im Rahmenprogram The Shelter Baden-Württemberg-Stiftung, Jugendstiftung Baden-Württemberg, con moto foundation
Anlass
Im Projekt Kreuzung des Blicks arbeiteten eine bildende Künstlerin und ein bildender Künstler zusammen, um in regelmäßigen Teamtreffen gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verschiedener Herkunftsländer Möglichkeiten bildkünstlerischer Verfahren auszuloten:

Wie können Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge aus unterschiedlichen Weltgegenden, künstlerisch begleitet und darin angeleitet werden, ihre persönlichen Erfahrungen im Spannungsfeld von Herkunftskultur und Mehrheitsgesellschaft zu artikulieren und sich darüber auszutauschen - und zwar gerade unter der vielfach erschwerenden Bedingung, der deutschen Herkunftssprache nicht oder nur begrenzt mächtig zu sein? Wie von selbst
bieten sich bildnerische Aus-drucksmöglichkeiten an – aber wie genau kann das gehen?

Dies heraus zu finden boten die Künstler keinen Workshop an und unterbreiteten auch kein Bildungsangebot. Vielmehr verstanden sie sich als Gäste im Wohnheim und was sie als Gastgeschenk mitbrachten, war die Einladung zum Mittun. Nach Maßgabe der örtlichen und sozialen Verhältnisse vor Ort begannen sie einfach selbst zu arbeiten …

Grundidee war, gemeinsam Bilder entstehen zu lassen: Und zwar ohne jegliche Vorgaben. Annahme war, dass sich unter geeigneten Bedingungen, die zu schaf-fen wir angetreten sind, von ganz alleine diejenigen Themen oder Inhalte ins Bild setzen würden, die Autorinnen und Autoren aktuell beschäftigen. Auf diese Weise könnte sichtbar werden, was sich überhaupt nicht, oder noch nicht, in gemeinsamer Sprache artikulieren lässt. Leitmotiv des Projekts: Was wir (noch) nicht sagen können, können wir zeigen.

Wir verbanden damit die Hoffnung, dass die gemeinsame Projektzeit und die bild-nerischen Arbeitsergebnisse Anlass sein werden, sich - wie auch immer – gegenseitig zu unterrichten, sich zu befragen und sich weitergehend auszutauschen. Für die am Projekt Beteiligten ergäbe sich
daraus ein unmittelbarer Lebensweltbezug. Und soweit es zur Teilnahme an unserem Projekt keinerlei Voraussetzungen bedarf und alle herzlich eingeladen sind sich zu beteiligen, ist Zugänglichkeit, für alle Interessierten gewährleistet .

Wir wollten zeigen, wie wir arbeiten und wie Bilder professionell gefertigt werden können. Vom Herstellen von Staffeleien, der Spannrrahmen, dem Aufbringen und Grundieren der Leinwände bis zur Präsentation in einer
Ausstellung – verbunden mit hinreichend Zeit und Gelegenheit, sich zu informieren, sich zu orientieren, sich über einzelne Arbeitschritte und insbesondere über das eigene bildnerische Anliegen klarer zu werden.
Ansprechpartner
Matthias Weiss, Kinder- und Jugendzentrum Weingarten - Diakonieverein Freiburg-Südwest;Cristina Ohlmer, Freie Landesakademie Kunst; Richard Schindler, Freie Landesakademie Kunst
Was getan wurde

  • Kreuzung des Blicks ist ein Beitrag zum Rahmenprojekt The Shelter des Diakonievereins Freiburg-Südwest e.V. Der Diakonieverein arbeitet seit über 40 Jahren im Freiburger Stadtteil Weingarten. Im Projekt „The Shelter“, das bis zum Frühjahr 2017 läuft und sich auf besondere Weise den Menschen in den lokalen Flüchtlingswohnheimen widmet, sind federführend das Kinder- und Jugendzentrum Weingarten und die Mobile Jugendarbeit Weingarten-Ost. Das Projekt bietet Bewohnern der Flüchtlingswohnheime Besançonallee und ADAC im Stadtteil Weingarten die Möglichkeit, mit Hilfe des Mediums Musik (Gesang, Sprechgesang, Musizieren, Komposition und Tanz), szenische Bearbeitung (Fotografie und Videografie) und bildender Kunst, Kontakte miteinander zu knüpfen, sich zu begegnen, sich auszutauschen und gemeinsam aktiv zu werden.

    Weitere Kooperationspartner sind: Musikwerk, Vigeliusschule, NBW Haus Weingarten, Diakonieverein Freiburg-Südwest e.V., Mobile Jugendarbeit Weingarten Ost und das Deutsche Rotes Kreuz - Rückkehrberatung.

  • Cristina Ohlmer. VORFAHRT. Wir fahren am evangelischen Jugendzentrum vorbei, biegen rechts ab bis zu einem Ponyhof, dann geht links ein Radweg durch ein Wiesenstück und etwas weiter führt ein schmaler Weg zu den doppelt gestapelten Containern, die in U-Form einen Hof mit Bäumen, Bänken und Kinderspiel-platz eingrenzen. Das ist unser Ziel, ein Flüchtlingswohnheim.

    Die meisten Fenster haben ihre Jalousien herunter gelassen. Aber durch Sehschlitze können wir beobachtet werden. Keiner der Bewohner dieser Räume erwartet uns wirklich. Woher auch sollten sie wissen, wer wir sind und was wir wollen? Sie wollen Heimat, Arbeit, Recht und Schutz vor Gewaltmissbrauch, sind auf der Flucht vor dem Krieg in ihrem Land. Die Unterkünfte sind ein Provisorium für ihre Bedürfnisse und Wünsche. Ein neues Leben im Anderen ist nur mühsam zu verwirklichen. In der Zwischenzeit vereinnahmen das Warten, Hoffen und Erlernen unserer ihnen fremden Kultur und Sprache diesen notgedrungenen Lebensraum.

    Wir fahren also im Hof vor, öffnen die Klappe des Kofferraums und stellen die Dinge zur Schau, die wir für sie vorbereitet haben. Es ist in der Art, wie es Wanderzirkus und das fahrende Volk tun, wenn sie Station machen und ihre Fertigkeiten vorstellen. Zwischen Bäumen und Bänken entsteht eine offene Werkstatt mit Tischen für Handbohrer, Schraubzwingen, Sägen, Feilen, Holzleim, Hammer und Nagel, Heißklebepistole und Tacker. Dachlatten werden sauber gestapelt. Gewindestangen, Flügelschrauben, Unterlegscheiben bereit gelegt…

    Schon kommen die Bewohner. Die Sonne scheint zwischen den einfachen Behausungen mit doppelter Kraft. Man ist neugierig.

    Wir laden ein mit zu tun, erklären nötige Handgriffe, weniger mit Worten, als im Vormachen. An diesem ersten Tag schaffen wir an selbst entworfenen Staffeleien und vermutlich stellt sich kaum einer unserer Teilnehmer die Frage: Wozu machen wir das alles? Sie gesellen sich einfach in ihrer freien Zeit in die Runde und machen mit.

    So machen wir weiter. Tag für Tag. Wir fahren im Hof vor, laden aus, bauen auf, arbeiten … dazwischen gibt es Menschen, die unsere Hilfe erbeten: beim Absä-gen eines Regalbretts, der Unterstützung eines Fußtritts am Kinderwagen für den kranken Sohn, beim Ausleihen von Werkzeug und Papier für kleine Nutzungen in ihren Räumen. Wir lernen die Menschen bei ihrem Namen, ihrem Herkunftsland und Familienstand kennen. Damit gehen auch die eigenhändig geschaffenen Staffeleien in ihren persönlichen Besitz über. Sie werden mit Namen bezeichnet, nachdem manche ihren Namen in unserer Schrift erst schreiben lernen müssen – als malende Geste und in der Lieblingsfarbe gepinselt.

    Wir machen weiter, Tag für Tag, fahren im Hof vor und zimmern die Rahmen für Leinwände, spannen sie auf und grundieren sie. Alle zusammen, wer will, ist dabei. Wir sind eine Gruppe geworden, die sich trifft, um an unserer Sache weiter zu gehen. Endlich ist der Tag da, den sie inzwischen „Malen“ nennen, die Somalier, Albaner, die irakischen Jesiden, die Syrer, Kurden und alle, die mittlerweile in den Hof kommen, wenn wir vorfahren. Wir sind zum Bestandteil des Alltags eworden, man gewöhnt sich schnell auch an das Außerordentliche: dass wir kommen und wieder kommen, dass wir mit „bis morgen“ abends Abschied nehmen, nachdem alles gelagert und aufgeräumt ist. Und weil unsere gemeinsame Zeit einen großen Freiraum beinhaltet.

    MALEN. Weiß-Gelb- Rot-Blau-Schwarz: „Das geht nicht!“ „Warum?“ „Grün fehlt“ „malen - alles geht“ …wir zeigen grün. Und zaubern hell- und dunkelgrün. Auch Orange mischen wir. Wie geht grün? Blau – Gelb – Weiß – Schwarz? Falsch? Und Braun, wie geht braun und wie laufen Farben im Regenbogen. Und wie geht das deutsche Haus, das irakische oder das somalische Haus? Wie geht ein Name? Und wo beginnt der Himmel? Wo ist Himmel blau? Und ist der Himmel oben oder hinter der Mickey Maus verdeckt? Bedeckt? Wolken? Wie geht rosa? Und verschwindet der Schwanz im Gras, wenn er grün ist? Und wie geht die Farbe der Wolke im Wasser? Weiß oder Wasser? Ist Wasser Farbe? Was ist Licht und was ist ein lichter Abendhimmel? „Warum haben die Kamele einen Höcker?“ „Weil es Dromedare sind - es gibt nur Dromedare bei uns“… die Kirche benötigt einen Sims, bevor das Spitzdach beginnt und einen Garten, von einem Zaun umhegt, mit einem Tor, das mit schmiedeeiserner Sonne auf rotem Feld verziert ist. Es ist die Kirche der Jesiden. Wir zeigen uns malend, wie die Welt geht. Am dritten Tag kommen die Hubschrauber und die Panzer, die Tarnfarbe und blutigen Wunden ins Spiel. Und es kommen die großen Herzen in der aufgehaltenen Hand und es kommt das Ende von unserem Malen im großen Kreis.

    Da kommen welche, die weiter malen wollen, weil es noch viele Grün zu mischen gibt, viele Menschen ins Bild wollen. Menschen, die im Kopf und in der Erinne-rung weilen, so wie die Flugzeuge mit den Bomben nicht nur Erinnerung sind. Und vielleicht auch, weil sie Wünsche malen wollen. Sie nehmen Farbe, Leinwände, Pinsel in ihre Zimmer und malen weiter.

    Wir verabschieden uns und verabreden uns zu einem Fest im Hof: zum Zeigen von Bildern und Film, mit Essen und Musik. Alle sind willkommen.

  • Eine Vorstellung unserer sichtbaren Arbeitsergebnisse (Bilder und Videofilm) fand statt am 13. Septmber 2016 im Flüchtlingswohnheim. Zur
    Begrüßung sprachen: Hans Steiner, Amt für Migration und Integration;
    Hanna Ricksgers, Flüchtlingssozialdienst Diakonieverein Freiburg Südwest e.V.; Richard Schindler, Freie Landesakademie Kunst gGmbH

  • Hans Steiner, Abteilungsleiter Integration, Amt für Migration und Integration Freiburg: Rausgehen, dahin, wo Flüchtlinge leben. Als Künstler vor Ort sein, Ideen und (die wenigen) Materialien auspacken, die man braucht, um sich gemeinsam mit geflüchteten Menschen auf den Weg zu machen und zu schauen, wo man nach einer, nach zwei Wochen gemeinsam landen kann.

    Es ist diese scheinbar absichtslose Herangehensweise, mit der die Freie Landes-akademie Kunst, Cristina Ohlmer und Richard Schindler mit Ihrem Kunstprojekt "Kreuzung des Blicks" gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Flüchtlingswohnheims Besançonallee Neuland betreten und dabei eindrucksvoll bewiesen haben, wie einfach es sein kann, Impulse - künstlerische und menschli-che - zu setzen, die auf dem langen Weg des Ankommens für die Teilnehmenden Inspiration und Ermutigung sind: Ein beispielgebendes und im besten Sinne er-mutigendes Projekt mit beeindruckenden bildnerischen Ergebnissen und viel Stoff für interessante Gespräche und Begegnungen.

  • Hannah Ricksgers, Sozialer Dienst Flüchtlinge DRK. Als stille Beobachterin habe ich das Projekt wahrgenommen. Und immer habe ich gerne aus meinem Büro-fenster hinunter in das bunte Treiben im Hof des Wohnheims geblickt. Men-schen unterschiedlichster Nationalitäten malten an selbst gebauten Staffeleien und mit Leinwand bezogenen Spannrahmen kraftvolle Bilder. Häufig entstand dabei eine so ruhige und konzentrierte Stimmung, dass plötzlich das Vogelge-zwitscher aus dem Baumwipfeln zu hören war.

    Das Projekt ermöglichte den Bewohnern des Flüchtlingswohnheims Erfahrungen, Erlebnisse, Wünsche und Sehnsüchte auf eine neue Weise zum Ausdruck zu bringen. Jedes Bild erzählt seine eigene Geschichte und in so manch einem ent-decke ich Erinnerungen an das Heimatland der Menschen.

    Ich danke Cristina Ohlmer und Richard Schindler ganz herzlich für diese positive und auch für mich bereichernde Zeit.