DENKMALSCHUTZ DURCH GRABMALPATENSCHAFT.
Skulpturen von Julius Seitz (1847 - 1912)
"Wenn die Städte größer werden und über sich hinaus wachsen, nehmen sie auch die Friedhöfe wieder in ihre Mitte. Die waren im Laufe von 300 Jahren - in Folge der Pest und eines aufkommenden Bewusstseins von Hygiene - vielerorts vor die Tore der Stadt ausgelagert worden. Am Ende des 18. Jahrhunderts, im Jahr 1794, verbot das preußische Landrecht endgültig Begräbnisse in "bewohnten Gegenden". Die Friedhöfe hatten ihren zentralen Platz im Zentrum neben der Kirche verloren. So entstanden Orte jenseits der Ortschaft. Auch der neue Freiburger Hauptfriedhof war 1872 auf freiem Gelände weit vor der Stadt angelegt worden.

Diese jenseitigen Orte blieben aber in dem Maße Teil der Gesellschaft, als sie ausgeschlossen waren: Kein Friedhof, der nicht, bis heute, von Mauer, Zaun oder Hecke umfriedet wäre. Und keiner, der nicht mit der romantischen Idee einer künstlich geschaffenen Natur verknüpft gewesen wäre: Der Friedhofspark sollte, so Hirschfeld 1779, "das Herz in eine Bewegung von mitleidigen, zärtlichen und sanft melancholischen Gefühlen" versetzen. In diesem Sinne wurde 1840 der größte deutsche Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf als Park angelegt, und der Freiburger Hauptfriedhof erhielt 1899 seine heutige Gestalt als Parklandschaft.

Dennoch: Der Friedhof ist der absolut andere Ort (Michel Foucault). Auch wenn er sich heute wieder im Herzen der Stadt befindet und als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts betrieben wird, gelten hier besondere Regeln. Er soll nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr betreten werden, Kinder unter 10 Jahren dürfen ihn nur in Begleitung von Erwachsenen betreten, und jeder hat sich der "Würde des Ortes entsprechend" zu verhalten. Es dürfen keine Tiere mitgebracht werden, es darf nicht gesungen, nicht geraucht werden, es darf nicht gefahren werden, und Waren dürfen nicht angeboten oder verkauft werden. Pflanzen dürfen nicht entfernt, Zweige nicht abgerissen werden, Stühle oder Bänke dürfen nicht aufgestellt werden. Die Ruhe der Toten ist zu wahren - in der Hoffnung, dass auch die Toten die Ruhe der Lebenden respektieren. Denn der Friedhof zeigt, wo die Toten hingehören. Wir ermessen, was in einer Gesellschaft Leben heißt, am ehesten, wenn wir sehen, was Totsein heißt.

Sterben ist die absolute Ankunft an einem Ort. Der ist selten frei gewählt. Aber was solchermaßen gekommen ist, kann nicht bleiben. Alle Menschen bestatten ihre Toten - keine Gesellschaft, so unterschiedlich ihre Praktiken und Riten sein mögen, lässt sie einfach an Ort und Stelle liegen. Die Begräbniszeremonie ist Annahme und Verabschiedung des beziehungslos gewordenen Körpers. Im Ritual wird der Leichnam, das reglos stumme Bild vergangenen Lebens, ausdrücklich gerahmt und aufgehoben. Im Tod nämlich ist der Mensch plötzlich zum bloßen Bild desjenigen geworden, der er als Lebender war. Er sieht nicht mehr, er wird gesehen."

Aus: Richard Schindler: Das Bild, der andere Ort.
In Richard Schindler, Denkmalschutz durch Grabmalpatenschaft. Skulpturen von Julius Seitz (1847 - 1912), Freiburger Bestattungsinstitut Karl B. Müller und Institut für Visual Profiling, Freiburg, Dezember 2006. Mit Textbeiträgen von Karl-Heinz Müller, Peter Kalchtaler, Richard Schindler und einem Zitat von Heinrich Müller aus dem Jahr 1919. Fotos von Richard Schindler