KOLLEGENGESPRÄCHE
Eine spezifische Rezeptionssituation für bildende Künstler
Im Kontext der künstlerischen Explikation des Landschaftsbildes Schwarzwald (zum öffentlich und gerichtlich geführten Streit um Windkraftanlagen am Schauinsland) wurde in der Zeit vom 27.11.2003 bis 11.02.2004 eine spezifische Rezeptionssituation für bildende Künstler geschaffen - mit dem Ziel ergänzende ästhetische Ad-hoc-Urteile zu bilden
Die in der Rechtsprechung gebrauchten Begriffe "Schönheit der Landschaft" und "Landschaftsbild" legen es nahe, für den damit in Frage stehenden Problemkomplex "Bild und Bildästhetik" und seine Bearbeitung ausgewiesene Experten zu bemühen. Bildende Künstler, aber auch Kunsthistoriker, Kritiker, Ausstellungskuratoren oder Galeristen, befassen sich traditioneller Weise mit der Wahrnehmung und Beurteilung von Bildern. Dennoch wurde nach unserer Kenntnis deren Fachwissen auch in problematischen Fällen bisher nicht zu Rate gezogen.
Da es bei Fragen der Landschaftsplanung und des Landschaftsschutzes nicht nur buchstäblich um Landschaft geht, sondern auch um ihre Wahrnehmung und Bewertung „als“ Bild, bzw. um ihren bildhaften Charakter, sollte die Beteiligung der genannten Expertengruppen am methodologischen Diskurs zur Landschaftsbildanalyse selbstverständlich sein.
Da sich derzeit eine allgemeine Bildwissenschaft erst allmählich herauszubilden scheint und bildende Künstler nicht nur als Bildproduzenten, sondern auch als Rezeptionsexperten angesehen werden müssen, ist die Einbindung bildender Künstler zur Bearbeitung des Problembereichs Landschaftsbild als zielführend anzusehen.
Hinzu kommt, dass Wahrnehmung und Beurteilung von Landschaft weitgehend von künstlerischen Bildern (Bildende Kunst, Musik, Dichtung und Literatur) geprägt sind. Auch Politiker, Richter, Landschaftspfleger oder Landschaftsschützer und -architekten sind davon nicht unberührt. Und dies gerade dann, wenn künstlerische Bilder heute primär über populäre Medien vermittelt werden.
Deshalb haben wir eine spezifische Rezeptionssituation mit bildenden Künstlern geschaffen: Nicht im Atelier, sondern in unmittelbarer Anschauung des fraglichen Gegenstandes (Landschaftsbild) sollten ästhetische Betrachtungen, Urteile und Begründungen evoziert werden. Geltungsbasis ist also das unmittelbare, in Ansehung der Ausdrucksgestalt (Landschaftsbild) artikulierte ästhetische Urteil bildender Künstler. Die dabei in Anspruch genommene Perspektive ist „das geschulte Auge“ im Sinne stellvertretender Deutung. Methodologisch ging es darum, zur Kontrolle und Geltungssicherung unserer Analysebefunde einen weiteren, veränderten Zugang zum Untersuchungsgegenstand zu schaffen (Evidenzsicherung im Sinne methodischer Trinangulation, Multiperspektivität).
Die Urteile der Kollegen können die Begründungen und Explikationen unserer Analyse weder bestätigen, noch widerlegen. Aber in dem Maße, in dem diese Ad-hoc-Urteile mit den Ergebnissen unserer Analyse übereinstimmen, haben diese, und der explikative Weg dorthin, sich bewährt. Dissonanzen würden unsere Analyse nicht „falsifizieren“, aber in Frage stellen. Wir müssten dann diese Dissonanzen explizieren und aufheben: also die Frage beantworten, worin besteht die „Wahrheit“ der Abweichung der divergierenden Urteile.
Die Kollegen haben sich freimütig und vor Ort in 4 bis 5 Stunden währenden Einzelgesprächen geäußert. Die Beiträge wurden schriftlich protokolliert, am selben Tag zusammengefasst und den Gesprächspartnern zu Korrektur und Unterzeichnung übergeben. Die Auswahl der Experten ergab sich aus deren künstlerischem Werk und dem Umstand, dass sie in Freiburg bzw. in der näheren Umgebung Freiburgs leben und arbeiten und also die fragliche Schwarzwaldlandschaft kennen. Die Künstler waren: Klaus Merkel, Stephan Khodaverdi, Annette Merkenthaler, Peter Dreher, Jürgen Giersch, Herbert Wentscher, Martin Kasper und Bernd Seegebrecht.
Das Arbeitsergebnis ist veröffentlicht in dem Band
Richard Schindler: Landschaft verstehen. Industriearchitektur und Landschaftsästhetik im Schwarzwald. Modo Verlag Freiburg 2005